Handlungsempfehlungen Nationales Forum Frühe Bildung 2025
Vom 3. bis 4. Juni 2025 trafen sich Verantwortliche der frühen Bildung zum 1. Nationalen Forum Frühe Bildung in Heilbronn. Stakeholder aus Praxis, Verwaltung, Politik, Wissenschaft, Trägern, Verbänden, Medien, Stiftungen und Zivilgesellschaft diskutierten 24 Stunden unter dem Titel „Was braucht die Kita in der Einwanderungsgesellschaft?“ Aus den wissenschaftlichen Impulsen, Podiumsgesprächen und anschließenden (teilweise) kontroversen Debatten speisen sich die Heilbronner Handlungsempfehlungen für die frühe Bildung in Deutschland.
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6 Heilbronner Handlungsempfehlungen für die frühe Bildung
1. Frühe und lange Bildungsbeteiligung
Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Bei den unter 6-Jährigen bringen heute über 40 Prozent eine Migrationsgeschichte mit. Kitas leisten in diesem Kontext einen zentralen Beitrag zu Bildung, Teilhabe und Integration. Die Forschung zeigt: Je früher und länger Kinder aus sozial benachteiligten Familien – mit und ohne Migrationshintergrund – eine Einrichtung besuchen, desto erfolgreicher sind sie auf ihrem weiteren Bildungs- und Lebensweg. Dabei ist das Potenzial der Kita bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.
Handlungsempfehlung: Alle Familien bekommen frühzeitig und aktiv einen bedarfsgerechten und wohnortnahen Kitaplatz angeboten (Opt-out-Modell). Hürden im Anmeldeverfahren werden systematisch abgebaut. Mehrsprachiges und diversitätssensibles Informationsmaterial zum Kitabesuch wird in Zusammenarbeit mit Eltern- /Migrationsverbänden erarbeitet. Gesamtgesellschaftlich wird dafür geworben, die ersten Lebensjahre als wertvolle Bildungszeit in der Kita, wie auch in der Familie zu verstehen.
2. Frühe Sprachförderung und Sprachkompetenzerhebung
Kitas sind heute vielfach Orte der Mehrsprachigkeit und kulturellen Vielfalt. Darin liegt ein Potenzial für die pädagogische Arbeit. Gleichzeitig ist die deutsche Sprache die wichtigste Grundvoraussetzung für den Bildungs- und Lebensweg der Kinder.
Internationale Beispiele (z. B. aus Finnland und Schweden) zeigen, dass Sprachstandserhebungen eine qualitativ hochwertige und gezielte Sprachförderung stärken und so erfolgreich zur Steuerung von Ressourcen beitragen können. In Deutschland existiert eine unübersichtliche Fülle von unterschiedlichsten Sprachstandserhebungen, die vielfach nicht valide und praktikabel sind und dadurch unklare Ergebnisse bezüglich des Anteils an Kindern mit Sprachförderbedarf hervorbringen. Zudem gilt es, die Mehrsprachigkeit positiv mit einzubeziehen.
Laut Forschung können Sprachförderprogramme dann eine besondere Wirkung entfalten, wenn sich alltagsintegrierte Ansätze und additive Programme je nach individuellen Bedarfen der Kinder ergänzen. Deren Wirksamkeit ist in Deutschland noch nicht ausreichend nachgewiesen.
Handlungsempfehlung: Die kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit der Kinder gilt es anzuerkennen und ihr Potenzial für die pädagogische Arbeit zu nutzen. In
der Aus-, Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals müssen diese Aspekte zudem eine größere Rolle spielen. Gleichzeitig bleibt die Kita ein zentraler Ort für den Erwerb der deutschen Sprache. Dazu braucht es sowohl eine im Kitaalltag integrierte hochwertige sprachliche Bildung, die sich an alle Kinder richtet und alltägliche Routinen und Spielsituationen in der Kita als sprachliche Bildungsanlässe aufgreift und nutzt, als auch zusätzliche, gezielte Fördermaßnahmen für Kinder mit Sprachförderbedarf. Frühe und verbindliche Sprachstandserhebung sowie Dokumentation werden deutschlandweit verpflichtend für alle Kinder eingeführt und führen zu einer verbindlichen, diskriminierungsfreien Förderung, die ressourcenorientiert an den Stärken der Kinder ansetzt, gleichzeitig aber die Bedarfe der Kinder systematisch aufgreift. Für all dies werden zusätzliche Ressourcen sowie Fortbildungen des Fachpersonals benötigt, etwa zur Fähigkeit, erhobene Daten im Hinblick auf Förderkonzepte zu interpretieren. Die geplanten Bundesprogramme Sprach-Kitas und Startchancen für Kitas könnten dies leisten. Wie andere europäische Länder erfolgreich zeigen, kooperieren in Deutschland künftig bei der Diagnostik auch Gesundheits-, Sozial- und Bildungsinstitutionen.
3. Durchgängige Bildungspläne und Übergangsmanagement
Der Übergang von der Kita zur Grundschule stellt einen wichtigen Schritt in der Bildungsbiografie von Kindern dar. Auch wenn Kitas und Grundschulen hier und da schon zusammenarbeiten, fehlt ein (bundesweit) gemeinsam geteiltes Bildungsverständnis von Kita und Grundschule.
Handlungsempfehlung: Die Verantwortlichen für die Bildungspläne in Kita und Grundschule müssen bundesweit zusammenarbeiten und ein gemeinsames Bildungsverständnis entwickeln. Das Ziel sind verbindliche Bildungspläne für das Alter von eins bis zehn Jahren. Klare Zielvorgaben hinsichtlich der Kompetenzen der Kinder und überprüfbare Kriterien guter Fachpraxis sind dabei zu formulieren, verbindlich zu implementieren und auf Wirksamkeit zu überprüfen.
4. Nationales Bildungsmonitoring zur datenbasierten Qualitätsentwicklung
Bislang fehlt ein bundesweites nationales Bildungsmonitoring im Bereich der frühen Bildung. Dadurch fehlen die nötigen Daten, um die Prozessqualität zu verbessern und Steuerungswissen generieren zu können.
Handlungsempfehlung: Die Jugendminister- und Bildungsministerkonferenz verabreden ein nationales Bildungsmonitoring zur frühen Bildung mit dem Ziel, eine bundesweite Datengrundlage für die Verbesserung der Prozessqualität zu erreichen, Steuerungswissen zu generieren sowie verbindliche Qualitätsstandards weiterzuentwickeln und die damit verbundenen Ergebnisse zu überprüfen. Bei der Einführung eines Bildungsverlaufsregisters wird die Kita als erste Stufe der Bildungskette einbezogen.
5. Sozialindexbasierte Ressourcensteuerung und Konzeptkitas
Bisher ist die Mittelvergabe in Deutschland kaum an die unterschiedlichen Herausforderungen geknüpft, denen Kitas sich stellen müssen. Im Schulbereich gibt es dazu bereits einzelne Erfahrungen in den Ländern. Kitas in herausfordernden sozialen Lagen brauchen zusätzliche Mittel, um angemessen und mit hoher Qualität auf die Bedarfe der Kinder reagieren zu können.
Handlungsempfehlung: Die Ressourcenbereitstellung erfolgt künftig stärker sozialindexbasiert. Damit werden Kitas so ausgestattet, dass sie auf die Förderbedarfe der Kinder angemessen reagieren können. Das Kita Startchancenprogramm kann helfen, diese sozialindexbasierte Ressourcensteuerung bundesweit einzuführen. Pädagogisch anspruchsvolle Kitakonzepte werden insbesondere in Einrichtungen umgesetzt, die in sozial herausfordernden Lagen arbeiten. Dies soll dabei helfen, einer sozialen Segregation entgegenzuwirken, sodass auch Familien aus anderen Stadtteilen diese Kitas auswählen.
6. Demografische Rendite für Qualitätsentwicklung nutzen
Insbesondere in Ostdeutschland führen zurückgehende Geburtenzahlen zu einem Überangebot an Kitaplätzen. Gleichzeitig sind in Ostdeutschland die Gruppen in der Regel größer als in Westdeutschland. Internationale Studien zeigen, dass je früher ein qualitativ hochwertiger Kitabesuch stattfindet, desto größer ist die soziale Rendite für die Gesellschaft.
Handlungsempfehlung: Die demografische Rendite im Bereich der frühen Bildung sollte zu einem großen Teil für die Qualitätsentwicklung genutzt werden. Kleinere Gruppen haben die Chance auf eine bessere Förderung, mehr individuelle Zuwendung und Interaktion.
Ausblick
Die Erwartungen an die Kita sind stark gewachsen. Eine Migrationsgesellschaft stellt das bisherige System vor zusätzliche Herausforderungen. Gleichzeitig vertrauten noch nie zuvor so viele Eltern ihr Kind einer Krippe oder Kita an.
Unterschiedliche Zuständigkeiten in Bund, Ländern und Gemeinden hemmen nach wie vor die Effektivität des Systems. Die komplexe Träger- und Verbandsstruktur ermöglicht eine vielfältige Angebotslandschaft, kann aber ebenso zu Reibungsverlusten führen. Im schlimmsten Fall führt das zu einem Gegeneinander der Verantwortlichen und letztlich zu organisierter Verantwortungslosigkeit.
Nie zuvor waren die Ausgaben für frühe Bildung so hoch wie heute. Nie zuvor standen frühkindliche Bildung und Betreuung so sehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik. Darin steckt eine historische Chance. Wer in diesem Land für die Kita verantwortlich ist, sollte dieses Gelegenheitsfenster nutzen.
Heilbronner Handlungsempfehlungen Nationales Forum Frühe Bildung 2025
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Als Strategieexperte und Moderator mit jahrzehntelanger Erfahrung führt Stephan Dorgerloh (er/ihm) Stiftungen wie Unternehmen durch komplexe Prozesse inhaltlichen und organisatorischen Wandels. Als früherer Kultusminister von Sachsen-Anhalt ist er erster Ansprechpartner für unsere Kernthemen Bildung und Demokratie, Kultur und Politik. Nach dem Nationalen Bildungsforum möchte er nun mit dem Nationalen Forum Frühe Bildung der jüngsten Generation jährlich eine Plattform schenken.